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Der „Cinco de Mayo“

Wir verließen die Stadt der Götter, die uns so in ihren Bann gezogen hatte, und befanden uns innerhalb weniger Minuten in der Neuzeit und deren Logistikzentren und Gewerbegebieten. Eine gefühlte Ewigkeit fuhren wir auf einer mexikanischen Autobahn an ihnen vorüber. Ein Kulturschock ohnegleichen. Am Rande bemerkten wir immer wieder kleine Imbissbuden mit Pollos (Hühnchen), Mais oder dessen Fladen, Orangensaftstände oder einfach fliegende Verkäufer, die in die Fahrzeuge alles hineinreichten, an was Bedarf war. Unser Busfahrer und unser Guide haben sich so manches Mal mit Wasser oder isotonischen Getränken versorgt. Auch Haltestellen, an denen Wanderarbeiter auf Busse warteten, gab es auf beiden Straßenseiten. Uns entgegen kamen massenhaft Riesentrucks, die wir Mitteleuropäer sonst nur aus amerikanischen Filmen kannten. Sie transportieren einen Großteil der mexikanischen Waren, da die Eisenbahn hier nicht die Rolle spielt und riesengroße Entfernungen zu überbrücken sind. Ihnen sollten wir noch oft begegnen.

Diese Industriegebiete gehörten zur Zona Metropolitana de Puebla-Tlaxcala, also dem Großraum um diese beiden Städte im Bundesstaat Puebla, der mit seiner Bevölkerungszahl nach denen von Mexiko-City, Guadalajara und Monterrey an vierter Stelle steht.

Die gleichnamige Hauptstadt Puebla hat 1,5 Mio. Einwohner. Man sagt, dass hier das alte und das neue Mexiko aufeinandertreffen. Das neue hatten wir gerade. Und das alte? In der Innenstadt angekommen, zeigt sich, warum diese Stadt mit ihrem kolonialen Charme für ihre Schönheit berühmt ist.

Auf dem Weg in die Stadt kommen wir an einem sehr großen Rondell mit Denkmal vorbei. So wie sie eben in Mexiko sind, voller Stolz und Nationalbewusstsein, vorsichtig formuliert. Und da wir am nächsten Tag zum Berg Malinche fahren und wieder zurück und dann so auch die Stadt Richtung Oaxaca verlassen, kommen wir noch einige Mal daran vorbei. Zum Leidwesen eines unserer Mitreisenden, eines Franzosen, der schon zu DDR-Zeiten in Schwerin hängen geblieben war, aber dessen französisches Herz sich hier immer zusammenkrampfte. Puebla ist nämlich die Kurzform von Heroica Puebla de Zaragoza. Dieser Name bezieht sich auf den Sieg der Mexikaner unter Führung von Ignacio Zaragoza über das französisch geführte Interventionsheer am 5. Mai 1862. Benito Juarez, der ihn entsandt hatte, bestimmte den „Cinco de Mayo“ darauf hin zum Nationalfeiertag.

Dieser Befreiungskampf ist eine Geschichte für sich: Wie wird ein österreichischer Hochadliger namens Maximilian zum mexikanischen Kaiser und was haben die Franzosen damit zu tun. In aller Kürze: Es ging wieder einmal ums Geld. Mexiko war nach dem Bürgerkrieg zwischen Liberalen und Konservativen pleite und hatte einen Schuldenberg angehäuft der nicht rückzahlbar war. Die Gläubiger hießen England, Spanien und Frankreich. Die amtierende mexikanische Regierung beschloss, die Rückzahlung auszusetzen. Dies rief die Europäer auf den Plan. Um sich wenigstens etwas zurückzuholen intervenierte man und setzte später den österreichischen Erzherzog Maximilian als Kaiser von Mexiko ein. England und Spanien zogen sich aber bald zurück. Ihnen wurde das machtvolle geopolitische Agieren der Franzosen schnell suspekt. Nach anfänglichen Siegen und folgenden Hin-und Her, wendete sich das Blatt, als die Amerikaner zu Gunsten der Republikaner eingriffen. Napoleon der III. lenkte ein, zog seine Truppen ab und Maximilian wurde trotz Proteste aus Europa auf Geheiß von Benito Juarez erschossen.

Mit der Einnahme von Mexiko-Stdt durch Juarez begann eine neue Zeit. Die Verfassung, an der sich einst der Bürgerkrieg entzündet hatte, wurde in Kraft gesetzt, die Trennung von Kirche und Staat verankert und die katholische Kirche enteignet.

An dieser zeitlich gesehen kleine Episode kann man den Reichtum und die Brisanz der mexikanischen Geschichte erkennen. Wir werden noch manches Mal darauf zurück kommen.

Das schöne Puebla

Unser Hotel, natürlich im prächtigsten Kolonialstil erbaut, besaß wie fast alle dieser Gebäude in der Innenstadt ein Patio, überdacht und mit Talavera-Fliesen dekoriert. Einige der Werkstätten für diese besondere Keramik findet man noch immer im „Mercado de Artesanias El Parián”, einem lokalen Markt für Kunsthandwerk. Noch heute wird die Architektur dieser Stadt durch die farbenprächtigen Talavera-Kacheln bestimmt. Viele der Häuserfassaden sind mit ihnen gefliest. Sie kamen aus Spanien, speziell aus dem spanischen Dorf Talavera de la Reina.

Aber eigentlich sind diese quadratischen Fließen kosmopolitisch, vereinigen Orient und Okzident und besitzen eine über tausendjährige Geschichte. Von Mesopotamien und Ägypten führte ihr Weg nach China, die die Tonware verbesserten. Mit die Mauren kamen sie weit vor der Reconquista zurück nach Spanien. In Andalusien, vor allem in deren prachtvoller Hauptstadt Sevilla, findet man sie, dort Azulejos genannt, an „jeder“ Ecke, am eindrucksvollsten am Alcázar-Palast. Wahrscheinlich gelangten die Kacheln dann von hier in die neue Welt und an die Wände der Kolonialstädte. Immerhin besaß der Hafen von Sevilla im 16. und 17. Jahrhundert das Monopol über den Handel mit Übersee. Hier saß auch die Casa de Contratación, das spanische Verwaltungszentrum für alle amerikanischen Angelegenheiten. Vor deren Beamten versuchte sich unter anderem Hernán Cortéz Gehör zu verschaffen und sein Vermögen einzuklagen.

Egal von woher man auf seinem Stadtrundgang kommt, man gelangt unweigerlich zum Zócalo. Er gilt als einer der größten und schönsten Plätze Mexikos, umgeben von der Kathedrale, dem Rathaus sowie Kolonialgebäuden mit Arkadengängen. Unter den Arkaden befinden sich Cafés, Restaurants und Geschäfte. Sein heutiges parkähnliches Aussehen mit großen Platanen, Steintreppen und Skulpturen bekam er erst im 19. Jahrhundert. Vorher war er Marktplatz und ab und zu gab es einen Stierkampf. Auch im 21. Jahrhundert ist es auf dem Zócalo nicht leise, es gibt täglich Konzerte von Musikgruppen oder Einzelkünstlern. Dabei dürfen Gitarren und Trompeten nicht fehlen. Die vielen Straßenhändler tragen das ihre dazu bei, dass man nur schwer vorwärts kommt. Lästig oder schlechter: traurig, wird es, wenn Kinder zu den Touristen vorgeschickt werden. Wie verhält man sich da? Es gab darüber manche Diskussion in der Reisegruppe mit absolut unterschiedlichen Meinungen.

Vom Brunnen, der sich in der Mitte des Platzes befindet, läuft man direkt auf eine Einkaufspassage in einem der umgebenden Häuserblocks zu, in dem sich auch das Rathaus befindet. Diese prachtvolle Pasaje Comercial ist eine Nachfolgerin der ersten, die die Poblanos schon um 1542 errichteten. Man erreicht dann die Fußgängerzone Calle 5 de Mayo (wir wissen: der Nationalfeiertag), es ist die Haupteinkaufsstraße von Puebla. Von hier gelangt man zur 1910 errichteten gusseisernen Markthalle. In ihrer zentralen Kuppel präsentiert sie sich mit Glasarbeiten aus der Zeit des Jugendstils.

Das achte Weltwunder: Die Rosenkranzkapelle

An einer Ecke der Calle 5 de Mayo entdeckt man einen lachsfarbenen Komplex, architektonisch eher unscheinbar. Der Templo de San Domingo Guzmán wurde im 16. Jahrhundert von den Dominikanermönchen erbaut. Dies geschah auf Wunsch des ersten Bischofs vor Ort, der sie nach Puebla geholt hatte. Durchschreitet man das Kirchenschiff, erkennt man schon die Meisterschaft der Baumeister. Es lebt vor allem vom farblichen Wechselspiel der weißgekalkten Wände mit dem grauen Granit, wunderbar ergänzt durch vergoldete Ornamente.

Wendet man sich dann vor dem Altar nach links, ist man ähnlich beeindruckt, ja sprachlos, wie von der Größe Teotihuacáns. Nur anders. Betritt man die Rosenkranzkapelle ist man einerseits geblendet von der Vergoldung und andererseits fasziniert von der Ornamentik. Sie liefert, wir werden explizit darauf hingewiesen, Beispiele für den schon genannten Synkretismus. Darstellungen und Motive aus der indigenen Welt sind hier verwoben mit den Symbolen der Christenheit.

Die Capilla del Rosario wurde ca. 100 Jahre nach der Kirche erbaut und ist, so lernen wir, die erste Kapelle, die der Rosenkranzmadonna geweiht wurde. Sie gilt, so kann man es überall lesen, als das größte Juwel des mexikanischen Barock und wurde einst als achtes Weltwunder angesehen. Papst Johannes Paul II., den wir schon in Mexiko-City „begegneten“, bezeichnete sie bei seinem Besuch 1979 als „Reliquienschrein von Amerika“.

Auch hier findet man wieder Azulejos, die einen Fries bilden. Über ihnen die vergoldete Ornamentik, deren Stuck auf einer Masse aus Mehl, Eiweiß und Wasser basiert, belegt mit 24-karätigem Gold.

Das in der Nähe liegende Amparo-Museum sowie das Künstlerviertel La Malinche werden ebenso für einen Besuch empfohlen wie die Kathedrale. Malinche werden wir morgen haben, also spazieren wir vor dem Abendessen auch noch in die Kathedrale. Sie ist die zweitgrößte des Landes. Mit ihrem Bau begann man schon 1575. Eingeweiht wurde die Renaissancekirche 1649. Die beiden Glockentürme, mit 70 Metern die höchsten Mexikos, wurden erst 1768 fertiggestellt. Besonders sehenswert ist die mit Azulejo-Fliesen verkleidete Kuppel. Aufgrund der langen Bauzeit weist die Kathedrale außerdem architektonische Merkmale des Barock und des Neoklassizismus auf.

Im großen Innenraum befinden sich 14 Kapellen und ein achteckiger Altar. Der Altar wurde 1797 errichtet, besteht aus zwei Ebenen, die von korinthischen Säulen getragen werden und einer Kuppel, die als Vorbild die Kuppel des Petersdomes haben soll.

Soviel Kultur macht hungrig. Wir setzen uns gleich neben der Kathedrale in eines der vielen Restaurants und probieren, natürlich, ein Essen mit der Spezialität der Stadt. Die Fama erzählt, dass diese von Nonnen vor unzähligen Dekaden zum Besuch eines Bischofs kreiert wurde. Das Originalrezept dieser Köstlichkeit, der dickflüssigen und scharfen Schokoladensauce „mole poblano“, besteht aus unzähligen Gewürzen, Kräutern und viel Schokolade, bis heute ein Geheimnis sein.

Foto: Holger Schmahl

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