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Die ersten Städte Mesoamerikas

Auf der Fahrt in den Bundesstaat Puebla, nach Teotihuacán, der Stadt Puebla und dem Vulkan La Malinche bleibt Zeit etwas tiefer in die Geschichte Mesoamerikas einzutauchen. Wir fahren von Mexiko-City aus gen Nordosten und werden bald eine von Bergen umgebene Hochebene erreichen. Natürlich war Teotihuacán nicht der erste heute bekannte Siedlungsort. Mit dem Beginn des Maisanbaus zwischen 4000 und 3000 v. Chr. und dem Beginn der Töpferei, die man auf ca. 2400 v. Chr. datiert begannen sich die ersten größeren Siedlungen zu entwickeln. San Lorenzo, im Bereich der Landenge von Tehuantepec gelegen, zwischen Atlantik und Pazifik, ist eine der ältesten heute bekannten Besiedlungen. Sie gilt als erste Stadt Mesoamerikas und soll 1200 v. Chr. entstanden sein. Capacha in Colima im Westen Mexikos und San José Mogete in Oaxaca sind sogar zweihundert Jahre älter. Mit dem Niedergang von San Lorenzo um 900 begann der Aufstieg von La Venta mit seiner bekannten Kultur, das sich ebenfalls auf der Landenge von Tehuantepec befand. So ein kurzer Abriss der Geschichte des späteren Mexiko.

Man könnte noch Cuicuilco – wurde von Lava verschüttet – oder Tres Zapotas nennen, nicht zu vergessen die Olmeken, deren Skulpturen Erich von Dänneken an außerirdische Raumfahrer denken und schreiben ließ, und und und. Vor allem natürlich auch Monte Alban, der weiße Berg. Aber ihn werden wir dann erst im Bundesstaat Oaxaca besuchen.

Im hellen Licht des Morgens tauchen nun die Pyramiden der Sonne und des Mondes von Teotihuacán mit ihren unzähligen Nebengebäuden auf. Die Ruinenstadt wurde von der UNESCO im Jahre 1988 auf die Liste der besonders schützenswerten Kulturgüter gesetzt. Teotihuacán war die erste wirkliche Stadt der „Neuen Welt“. Ihre erste Wachstumsperiode hatte sie in der sogenannten späten Präklassik beginnend 180 v. Chr. Knapp 600 Jahre später, zwischen 400 und 650 n. Chr. kam es zur Blüte und ihrem religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Höhepunkt. Der Einfluss der Bewohner von Teotihuacán reichte damals weit in den Westen und bis hinunter nach Guatemala. Es wohnten etwa 200.000 Menschen in ca. 2.300 Wohnquartieren in der Stadt. Damit war sie zu ihrer Zeit die sechstgrößte der Welt und die größte des amerikanischen Doppelkontinentes. 650 kam es zu einem Brand des Stadtzentrums, manche Quellen sprechen von bewusster Brandstiftung, und damit zum Niedergang von Teotihuacán. Das führte dann auch zum Zerfall der mesoamerikanischen Einheit. Rivalisierende, meist kurzlebige, Stadtstaaten machten diese Region dann bunt und kulturell glanzvoll, durchzogen sie aber auch immer wieder mit Krieg.

Jetzt am Morgen ist das Touristenziel Teotihuacán noch relativ ruhig. Der Weg vom Busparkplatz führt an gefühlt kilometerlang aufgereihten Ständen vorbei. Zu unserem Glück sind die Händler noch dabei, die Buden aufzuschließen und Nippes-Kokolores zu platzieren.

Teotihuacán – die Stadt der Götter

Dann stehen wir staunend vor der Sonnenpyramide von Teotihuacán mit ihren fünf Stufen und den unendlich vielen Treppen. Sie ist ein Quadrat von 225 m Kantenlänge. Ihr Inhalt und Fassade, so haben Wissenschaftler berechnet, besteht aus zweieinhalb Millionen Tonnen Ziegeln und Geröll! Sie wurde vermutlich in 30jähriger Bauzeit errichtet. Ungefähr 3.000 Arbeitskräfte kamen zum Einsatz. Ihre Ost-West-Ausrichtung folgt dem Weg der Sonne über den Himmel, die vier Eckpunkte des Bauwerkes kennzeichnen die Himmelsrichtungen.

Auch wenn sie mit ihren 70 Metern nicht an die Höhe der Pyramiden von Gizeh herankommt, als kleiner Erdenwurm am Fuße dieses Bauwerkes merkt man den Unterschied von groß zu ganz groß nicht wirklich.

Durch die Kenntnis der gigantischen ägyptischen Bauwerke gaben die Europäer – und damit sind nicht die Konquistadoren gemeint -, die diese Bauten hier wieder entdeckten, ihnen ebenfalls diesen Namen. Richtiger müsste es Tempel heißen.

Ähnlich wie uns muss es den Azteken gegangen sein, als sie auf ihren Streifzügen um den Texcoco-See die Ruinen entdeckten. Sie fanden eine seit fast tausend Jahren verlassene Geisterstadt vor. Trotz ihrer eigenen prächtigen Hauptstadt Tenochtitlan mit dem Templo Mayor, waren sie so beeindruckt, dass sie von der Stadt der Götter sprachen. Sie benannten die Stadt in ihrer Sprache, dem Nahuatl, als Teotihuacán: „Der Ort derjenigen, die die Straße zu den Göttern haben“.

Vor 50 Jahren entdeckte man unter der Sonnenpyramide in einer Tiefe von sechs Metern eine natürliche Höhle. Diese scheint in ihrer gesamten Ausdehnung von 100 Metern, so die Wissenschaftler, als zentrales Heiligtum genutzt worden zu sein.

Heute sprechen Wissenschaftler davon, dass die ursprünglichen Erbauer der Stadt vor 2.000 Jahren aus dem Norden kamen. Ihre Kultur basierte wie die vieler anderer mesoamerikanischer Völker auf der Verehrung des Regengottes. Das Götterpantheon, das man bei den mesoamerikanischen Völkern von Azteken bis Mayas kennt, gab es hier auch schon.

Die kleinere Mondpyramide von Teotihuacán gilt als das weibliche Pendant zur „männlichen“ Sonnenpyramide. Aztekische Überlieferungen behaupten, dass sich auf der oberen Plattform eine riesige Statue befunden haben soll. Auch von reichen Grabkammern berichteten sie. 2017 machten Archäologen dort eine sensationelle Entdeckung. Sie „durchleuchteten“ sie mit modernster Technik und sahen einen Hohlraum ähnlich dem so genannten „Zentrum des Universums“ unter der Sonnenpyramide.

Der Mondtempel wurde zwar restauriert, wenn auch nicht bis zu Ende. Das heißt, nach dem Aufstieg zur Sonne kam der zur Mondin, aber eben nur bis zur ersten Ebene, dafür steiler. An den Seiten beider Tempel findet man heute Seile, um sich bei Auf- und Abstieg festhalten zu können. Bei den Tausenden, die täglich die Pyramiden besteigen, scheint dies sicherer zu sein. Denn das Gedränge kann durchaus zu einer Gefahrenquelle werden. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass man beispielsweise bei den Maya-Tempeln wie denen in Chichen Itza schon die Notbremse gezogen hat und die Tempel nicht mehr bestiegen werden dürfen.

Von der Mondpyramide im Norden führt die Straße der Toten am Sonnentempel vorbei bis zur so genannten Ciudadela (Zitadelle) und die gleiche Länge noch einmal darüber hinaus. Die Benennung der so über sechs Kilometer langen Straße erfolgte ebenfalls durch die Azteken, die vielen offenen Höfe an der Straße mit dem Totenkult in Verbindung brachten. Heute weiß man, dass die Bewohner ihre Toten verbrannten und dann in Tücher gewickelt in ihrem Wohnhaus vergruben. So waren sie sozusagen immer bei ihnen.

Logistik und Kontrolle in einer mystischen Stadt

Diese zentrale Nord-Süd-Achse verband im religiösen Verständnis der Teotihuakaner das Himmlische, den Tempelbezirk, mit den irdischen Wohnvierteln. Sie kreuzte in Höhe der Ciudadela eine Magistrale, die die Stadt von Ost nach West durchlief. Sie waren ein Zeichen für die regelmäßig rechteckig angelegte Stadt. Deren Bewohner, die nicht zur Herrscherschicht gehörten und in den Palastbezirken wohnten, lebten in von Mauern umgebenen gleichförmigen Häusern. Heute würde man wahrscheinlich von Neubaugebieten sprechen. Und es gab Bereiche in dieser kosmopolitischen Stadt, die den Händlern aus dem Osten, von der Küste, den Mayas oder auch den Zapoteken vorbehalten waren.

Die Stadt war nicht nur ein religiöses Zentrum sondern gleichzeitig ein Logistik-HUB, in das Händler aus ganz Mesoamerika mit ihren Waren strömten und wo sie distribuiert wurden. Die orangefarbene sehr begehrte Keramik kam aus der Ebene von Puebla, der seltene grüne Obsidian aus einer nördlich gelegenen Sierra und die Baumwolle aus Morelos. Die Lage von Teotihuacán in einem offenen Tal, einem Nebental des Hochlandes von Mexiko, durch das viele Handelsstraßen liefen, begünstigte den rasanten Aufstieg dieser ungewöhnlichen Stadt.

Einige bezeichnen diese mystische Stadt der Götter in ihrer Exaktheit als ein großes Experiment, ein „unwahres“ Versuchsobjekt zur Organisation und Kontrolle der Bevölkerung. Die Masse der Bauten, das Wechselspiel von Licht zu Schatten im Tages- und Jahreslauf, so erzählen Guide und die dort arbeitenden Souvenirverkäufer unisono, mache sie noch heute so unheimlich: „Die Götter mischten sich unter die Menschen, spielten mit ihnen „Juego de Pelota“ und nahmen ihnen ihre Köpfe…“ (Juego de Pelota ist ein präkolumbianisches Ballspiel, das wir später noch genauer erklären werden).

Die Totenmasken aus Obsidian, verziert mit Perlmutt und Türkis, die kleinen Figuren aus dem gleichen feingeschliffenen Material, die Räucherfässer und scharfen Dolche, die diese Händler lautstark anpreisen und verkaufen wollen, lässt dies erahnen. An ihnen vorbei kommt man kaum, sind sie doch nach unserem dreistündigen Rundgang mittlerweile auf Hunderte angewachsen.

Unser Guide zeigt uns eine Alternative auf. Die Räumlichkeiten einer Genossenschaft, wo die genannten Objekte in hoher Qualität hergestellt werden. Und noch viel mehr. Ein fast Handteller großer Schmeichelstein aus schwarzen Obsidian mit Mineraleinsprengseln, die in der Sonne golden glitzern, und zwei Ketten mit einem Anhänger aus gleichen Material, auf dem sich die Namen unserer beiden Mädels in Maya eingraviert findet.

Da die Gravur eine Weile dauert, gab es vor der Tür eine Erfrischung. Nach einer Woche im Land tranken wir den ersten originalen Tequila. Es wurde Zeit – und er war lecker.

Foto: Holger Schmahl

 

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